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Der Rattentempel – Karni-Mata-Tempel in Deshnok

Image by Simon from Pixabay

Nach dem Palast der Katzen geht es weiter mit dem hinduistischen Karni-Mata-Tempel in der Stadt Deshnok im indischen Bundesstaat Rajasthan. Es ist einige Jahre her, als ich ins Auge fasste, die Familie mit einer Rattengruppe zu erweitern. Ich schaute mich im Internet um und landete natürlich auch bei Youtube. Einfach, damit das mal gesagt ist: Es gibt sehr viele herzige Rattenvideos auf der Plattform. Nicht nur immer die Katzen sind King 😉

Bei der Suche nach „Ratten“ auf YT stiess ich auf ein Video über die Tempelratten von Deshnok. Nach Schätzungen sollen es etwa 20 000 Ratten sein, die in dem Tempel nahe der Grenze zu Pakistan leben. Richtig gelesen. Zwanzigtausend Ratten. Sie werden von den Besuchern mit Getränken und Nahrung versorgt und sie sind heilig.

Indien und heilige Tiere ist nichts Überaschendes. Das mit den Kühen weiss jedes Kind. Aber Ratten? Die Videos sprechen eine deutliche Sprache: Die meinen das dort sehr ernst. Nach dem herrschenden Glauben sind die Ratten wiedergeborene Ahnen. In einem Video sagt denn auch ein Mann, sein Großvater esse nun als Ratte mit ihm zusammen (finde das Video nicht mehr zum Verlinken).

Tatsächlich essen Menschen und Ratten aus den gleichen Geschirren – gleichzeitig. Verweichlicht sind die Leute jedenfalls nicht und kaum ein Kind dürfte in der Zone dort eine Hausstauballergie entwickeln. Robuster kann man Menschenkinder wohl nicht machen.

20 000 heilige Ratten

Extrem weitläufig scheint der Tempel nicht gerade zu sein und 20k Ratzen sind echt viel. Bei mir wohnen sechs und wenn die in der Stube Auslauf haben, muss man aufpassen wie ein Haftelmacher, damit es keine Kollisionen zwischen Füßen und Ratten gibt. Ich hätte eine Krise, wenn ich durch den Tempel gehen müsste, einfach aus Angst, einem der Tierchen weh zu tun.

Wer eine Tempelratte aus Versehen tötet, muss diese ausserhalb des Tempels beerdigen und hat dem Tempel eine Spende in Form einer Ratte aus Gold oder Silber übergeben. Es sind so viele Tiere, dass das leider öfter vorkommen dürfte.
Wem eine über die Füße rennt, dem ist Fortuna zugetan. Moment, die entstammt einem anderen Prinzip. Egal. Eine besondere Ehre ist es, wenn sich eine der wenigen weißen Ratten zeigt. Die Besucher verharren über Stunden vor einem Schlupfloch, hinter dem sie eine weiße Ratte vermuten. Ich wüsste übrigens sehr gut, bei welchen Leckereien Ratzen aus dem Häuschen geraten 😉 Aber das Warten und Hoffen der Verehrer der Karni Mata gehört zur Hingabe mit dazu.

Karni Mata

Der Geschichte nach hat Karni Mata im 15. oder evtl. 14. Jahrhundert gelebt. Sie wurde bereits zu Lebzeiten als Heilige verehrt. Es gibt die Legende, dass ihr der verstorbene Sohn einer Fürstenfamilie gebracht worden sei, damit sie diesen wieder zum Leben erwecke. Karni Mata begab sich in Trance und bat den Totengott Yama, das tote Kind den Lebenden zurückzugeben. Yamas Bescheid jedoch war abweisend. Der Junge war bereits wiedergeboren worden, was die Rückgabe verunmöglichte.
Karni Mata habe sodann den Schwur getan, dass keine Seele ihres Volkes jemals wieder das Reich des Totengottes Yama betreten solle. Die Verstorbenen würden vielmehr als Ratten wiedergeboren und sobald auch das Leben als Ratte beendet sein würde, als Barden (Charans) inkarnieren. Diese fahrenden Sänger genossen bei den Rajputen hohes Ansehen.

Dies ist der Hintergrund der Tempelratten. Wenn wir nun mit diesem Wissen sehen, wie Menschen allen Alters sorgsam ihr Essen mit den Nagern teilen, können wir verstehen, mit wie viel Respekt den Ahnen gegenüber dies geschieht. Sie füttern nicht einfach eine Ratz, sie glauben, dass ihre toten Mütter und Väter in den kleinen Körperchen leben.

Den Tempel gibt es seit etwa 600 Jahren; auf jeden Fall ist soweit zurück seine Geschichte bekannt. Den Eingang schmücken Hunderte steinerner Ratten. Der Maharaja Ganga Singh, der von 1880 bis 1943 lebte, spendete die Mittel für die Renovation und Erweiterung des Tempels und auch die kunstvollen Verzierungen aus Gold und Silbe sowie die silberne Eingangstür.

Reaktionen auf die Videos

Die überwältigende Mehrheit der Reaktionen ist nichts als widerwärtig und bringt Verachtung gegenüber Mensch und Tier zum Ausdruck. Nur weil es in Europa nicht üblich ist, Tieren einen dem Menschen ebenbürtigen Platz einzuräumen oder sich sogar in den Dienst des Tieres zu stellen, nehmen sich die Leute Worte heraus, die mich mehr gruseln lassen, als ein schmuckes Gebäude mit 20 000 Ratten.

Hoffentlich sind unter diesen Kommentierenden keine Tierhalter. Denn ihre Hunde geifern auch nicht gerade wenig und wenn die Katz mal eben übern Tisch spaziert und an der Butter leckt, ist das nicht so wahnsinnig anders, nicht wahr?

Ratten sind übrigens saubere Tiere. Sie sind so sauber wie ihr Zuhause. Sie putzen sich regelmässig und sie halten Ordnung (was in ihren Augen eben Ordnung ist). Meine bugsieren regelmäßig verschmutzte Papierschnippsel, übrig gebliebene Gurkenhaut und zerknautschte Salatblätter aus den Hütten raus. Erst wird alles da in Sicherheit gebracht und benutzt, so weit es Freude macht und dann fliegt es raus, damit ich es entferne. Sie können im Dreck leben, aber sauber ist ihnen viel lieber.

Die Tempelratten sehen nicht wirklich gesund aus. Hautparasiten sind sicher weit verbreitet. Dennoch geht es ihnen vielleicht besser als unseren frei lebenden Ratten? Ich weiß es nicht. Mich fasziniert an der Geschichte die gelebte Wertschätzung des Tieres. Das ist genau mein Ding.

Link zur Suche auf Youtube nach den Tempelratten
Achtung: Wenn du Angst hast vor Ratten, klick es nicht an 🙂