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Traumjob Haustiersitter

Bally Park Schönenwerd (Foto Verena Kohler)

Du hast ja einen Traumjob

Es liegt auch an mir, dass ich das zu hören bekomme. Scheinbar merkt man mir die Freude an, die mir die Beschäftigung mit den Tieren macht. Grad an dieser Stelle will ich aber was anmerken: Haustiersitter sein ist kein “Job”, jedenfalls nicht so, wie ich es mache. Ein Job ist für mich irgendeine (evtl. kurzfristige) Betätigung mit nicht sonderlich viel Verantwortung und Anforderung im Angestelltenverhältnis. Dem Nachbarn mal den Rasen mähen, Zeitungen austragen, Popcorn verkaufen im Kino, so was.
Spitzfindig könnte man sagen, was ich mache, ist eine laufende Aneinanderreihung von “Jobs”, wenn da nicht die Verantwortung wäre und der Fakt, dass ich nicht Angestellte bin.

Was die Leute – Aussenstehende, nicht die Kunden – sehen, ist Verena, die Fische füttert und Katzen bespaßt. Allenfalls fallen ihnen noch Katzenklos ein. Für sie fahr ich ein wenig durch die Gegend und mache mir einen schönen Tag. Letzteres tue ich übrigens wirklich so gut es geht.

Wie alle Selbständigen heißt’s auch bei mir: Kundengewinnung, finanzielle und organisatorische Planung, Aufträge ausführen, Buchhaltung … Ich habe den Vorteil, dass ich abgesehen von Marketingaufgaben schon alle notwendigen Tätigkeiten in KMUs ausgeführt habe und zwar als Verantwortliche. Das macht mir viele Dinge leichter, an denen andere Selbständige verzweifeln.
Es geht ja in diesem Beitrag um den Traumjob. Deswegen muss ich kurz nachdenken, was ich am wenigsten leiden kann unter den Aufgaben. 

Da das nicht so einfach ist, zeige ich euch Lesern das Foto von oben in ganzer Größe, damit ihr in der Zwischenzeit die Augen entspannen könnt: 

Bally Park in Schönenwerd Kt. SO, Schweiz. Foto von Verena Kohler, Frühsommer 2021. Bild hat wie oft keinerlei Zusammenhang mit dem Text. Wozu auch? 😉

Gut. Mir ist was eingefallen, was ich nicht leiden kann: Den vollen Müllsack aus dem Büro raus tragen. Das hasse ich.

Ansonsten ist es wirklich schön. Vor allem natürlich mit den Tieren meiner Kunden. Unterwegs bin ich auch gerne und um Gebäude kümmere ich mich ebenfalls gern. Buchhalterin bin ich eh (FiBu und BeBu) und alles andere ist auch einfach.
Nur vielleicht das Marketing braucht etwas Überwindung, weil ich mir nicht wie ein Marktschreier vorkommen mag. 

Tatsächlich alles super. An alle, die gerade denken, wenn das so toll und einfach ist, werden sie doch auch gleich Katzensitter: Nur zu. Unterschätzt es einfach nicht. Ich erinnere mich an Sommer mit acht Wochen am Stück ohne Ruhetag = 56 Tage lang raus zu den Kunden. Vergesst Wochenende. Vergesst “ich bin aber müde und jetzt muss ich noch 20 km hin und zurück wegen einer Katze”. Wenn ihr so denkt, ist Tiersitter oder generell Dienstleister gar nichts für euch

Ein Job ohne Fehler also. Über den Ausdruck “Job” hab ich schon oben was gesagt. Ich mache immer gute Erfahrungen mit den Kunden, was daran liegt, dass die “richtigen” Leute zu mir finden und ich einen guten Riecher für drohenden Ärger habe. 

Bisher einmal (1 x) machte ich eine wirklich unschöne Erfahrung: 

Wenn persönliches Elend Kreise zieht 

Es war ein Montagmittag. Ich war seit fünf Uhr in der Früh unterwegs gewesen. Ich war hungrig und müde. Da ich mich am Vormittag länger in Kellerräumlichkeiten aufgehalten hatte, gab es einige Sprachnachrichten abzuhören. Die meisten nicht so wichtig, da von Menschen, mit denen ich zusammen an einem Projekt gearbeitet habe. Und dann diese verzweifelte Frauenstimme, die dringend um Rückruf und Hilfe bat, weil sie im Krankenhaus war. Ich rief zurück und erfuhr, dass sie gestürzt war, nun im Spital lag und jemand die Katze füttern sollte, die seit Freitag alleine sei. Zur Erinnerung: Sie rief mich am darauffolgenden Montag an …

Katze seit drei Tagen alleine + arme, arme Frau im Spital = Alarmstufe Rot bei Verena

Ich fuhr ins Krankenhaus, um Schlüssel und die nötigsten Infos zu holen. Was mich erwartete, war nicht eine ältere Dame, die in Schwierigkeiten geraten war, sondern eine Frau, zehn Jahre jünger als ich, in einem erbärmlichen Zustand. Ihre Stimme klang am Telefon wie die einer Greisin. Abgemagert bis auf die Knochen war sie. Ich hatte als sehr junge Frau in der Pflege gearbeitet und es war auf einen Blick klar, dass sie da nicht mehr raus kommen würde und wenn, dann garantiert nicht in ihr Zuhause.
Sie erzählte mir, dass sie niemanden hätte, da die Familie nichts mit ihr zu tun haben wolle. Von ihrer Katze, die ihr das Wichtigste überhaupt sei. Und mir fiel immer wieder auf, wie ausgesprochen höflich sie sich verhielt und ausdrückte. Noch nie zuvor hatte ich eine Person so ausgewählt mit Spitalpersonal reden gehört.

Das stand vollkommen im Gegensatz zu dem, wie sie mit den Sanitätern umgesprungen war, die sie aus dem Haus geholt hatten. Erzählte sie mir freimütig. Irgendwann nach fast zwei Stunden konnte ich ihr den Hausschlüssel abringen, indem ich ihr sagte: “Es macht nicht viel Sinn, wenn ich deiner Katze neues Geschirr kaufe und sie draussen versorge. Ausserdem habe ich schon Messie-Wohnungen gesehen. Mich haut nichts um.” 

Sie sagte darauf, bei ihr sei eben auch gerade nicht aufgeräumt. Sie sei nicht dazu gekommen. Auf jeden Fall kam ich endlich zu dem Schlüssel und fuhr zu ihr nach Hause. 

Es war übel. Nicht viele von Ihnen werden schon die Wohnung einer verwahrlosten Person von innen gesehen haben. Wenn, dann wahrscheinlich im TV. Da kommt das zwar “sensationell” rüber, aber wie es wirklich ist, mit allen Sinnen da rein zu gehen, übertrifft alles. Ich musste das nicht tun, aber ja sowieso auf die Katze warten, also fing ich an, das Schlimmste aufzuräumen. Ohne Auftrag, von mir aus, nicht verrechenbar. 

Die Bilder habe ich nach einigen Tagen gemacht, nachdem klar wurde, dass da so schnell keine fachliche Intervention zu erwarten ist. Da hatte ich schon Stunden mit aufheben etc. zugebracht. Als ich den Wohnraum zum ersten Mal betrat, mussten sich die Füße durch Krempel wühlen, damit ich bis zum Fenster kam. Alles voller Fäkalien und Müll. So wie es auf dem rechten Foto auf dem Tisch aussieht, war es auf allen Bodenflächen, einfach plus (menschlichem) Kot.

Die Katze kam sehr hungrig nach Hause und war sofort sehr anhänglich. Ich schickte der Kundin Bilder und Videos des Tieres, um sie aufzumuntern. Vom nächsten Tag an hatte ich die Frau “am Hals”, was ich anfangs nicht so empfand. Sie rief halb in der Nacht an zum Plaudern (hatte ja niemanden mehr sonst, laut eigener Aussage). Sie war, wie schon gesagt, extrem nett. Am dritten Tag “wusste” ich spontan, dass ich es mit einer hochgradig manipulativen Person zu tun hatte. Und sie war wirklich gut. Wahrscheinlich die perfekteste Manipulatorin, die ich je getroffen habe. Sie konnte ja nicht ahnen, dass meine Sensoren für so was ebenso perfekt sind. Ich liess sie gewähren, der Katze zuliebe. 

Die gesamte Situation wurde täglich mühsamer. Sie wies mich an, ihre Post zu öffnen und ihr die Fotos zu senden. Mahnungen, Vorladungen. Kann ja mal vorkommen … Dann fiel mir auf, wie sie es schaffte, dass viele neue Gegenstände in der Wohnung waren, obschon sie vom Sozialamt lebte. 

Schon als die beiden Paketzusteller die riesigen Kartons mit einem neuen Möbel brachten, war ich kurz stutzig geworden. Der eine fragte wegen des Namens nach und sagte irgendetwas Unverständliches. Da ich aber wusste, dass die Pakete geliefert werden und extra deswegen dort war, dachte ich mir nichts weiter.
Nun sah ich aber auf der Briefpost, wie sie vorging: Sie hatte zwei Vornamen. Da benutzte sie mal den oder den anderen, dazu in verschiedenen Varianten und mit der Adresse machte sie das genau so. Vom selben Versandhaus Mahnungen an zwei verschiedene Namen. Clever.

Da war ich schon so gut wie sicher, dass ich von dort nie einen Cent sehen würde. Trotzdem war ich immer noch bereit, die Katze zu versorgen, obschon ich fast eine halbe Stunde Weg dahin hatte. Abgelöscht hat es mir, als die Frau mich dazu bringen wollte, ihr Medikamente von daheim ins Spital zu bringen. DIE hätten kein Ritalin mehr in der Apotheke und das brauche sie aber dringend. Ob ich biiiitte das von daheim bringen könnte. So behämmert sehe ich also aus … Ich ignorierte diesen Wunsch, um minutenlanges Gejammer auf der Mailbox zu haben. Es wurde mir zu viel. Ich informierte sie, dass sie eine andere Betreuung suchen muss, ich würde es noch 7 Tage machen. Schickte ihr noch den Link zu einem Katzenhotel. 

Die Tage vergingen mit ihren Lügen und Betteleien und ich sagte jeden Tag, ich schaue noch genau bis dahin zu deinem Tierchen. Am letzten Tag versorgte ich die Katze, gab den Schlüssel mit einem Schreiben im Spital ab und fuhr nach Hause. Da schrieb ich ihrer Wohngemeinde, dass sie sich um die Katze kümmern sollen, da ich davon ausgehen müsse, dass diese Person NICHT für eine andere Betreuung geschaut hat. Die Gemeinde hat dann tatsächlich am Montag auch gleich reagiert. Ich hatte noch eine Weile ein schlechtes Gewissen, weil ich der Gemeinde “verraten” hatte, dass die Frau nicht in der Lage ist, Konsequenzen abzuschätzen. Trotzdem wusste ich jederzeit, dass ich richtig gehandelt habe. 

Ich hatte ja mit eigenen Augen zig Anzeichen dafür gesehen, wie es um die junge Frau stand. Was mich fassungslos machte, war der Fakt, dass sie beim Soz gemeldet war, einen Beistand hatte und auch von der Spitex betreut wurde. Und trotzdem war eine derartige Verwahrlosung möglich in der schönen Schweiz. 

Sie ist inzwischen verstorben, was ich eher zufällig erfahren habe, deshalb fiel mir die Story wieder ein und deshalb zeige ich die Bilder.

So kann eine Tierbetreuung eben auch aussehen. Es ist das einzige Mal bisher, dass ich Behörden einschalten musste, damit nach einem Kundentier geschaut wurde. Ich würde es allerdings wieder tun, wenn ich sehe, dass ein Mensch seine Verantwortung nicht übernehmen kann. 

Vielleicht hilft einem von euch eines Tages diese kleine Warnung: Wenn euch ein Mensch erzählt, dass er niemanden hat, weil sich alle von ihm abgewendet haben, behaltet das im Hinterkopf. Es dürfte einen Grund haben. In diesem Fall hier hat die ausgefeilte Lügerei der jungen Frau die Familie in die Flucht geschlagen. Wenn jemand so extrem höflich ist, wie ihr es noch nie im Leben gesehen habt, passt auf. Ich meine damit eine Höflichkeit, die so übertrieben ist, dass sie schon unpassend ist. Vorsichtig sein, bitte.

Hier sollte jetzt vielleicht zum Ausgleich die schönste Haustiersitter-Geschichte folgen. Aber so eine gibt es nicht. Es sind einfach unzählige kleine herzerwärmende Momente mit Ihren Tieren, die die Tätigkeit so besonders machen ♥